Das Hovercraft stürzte mit dem Heck voran.

In der Kabine fuhr Schofield auf seinem Sitz herum und blickte durch die zerbrochene vordere Windschutzscheibe des Hovercrafts hinaus. Er sah die Klippenspitze hoch über sich immer kleiner werden, als sie sich immer weiter entfernte.

Renshaw im Sitz neben ihm hyperventilierte. »Wir werden sterben. Wir werden wirklich sterben.«

Das Hovercraft fiel lotrecht - sein Heck zeigte abwärts, die Nase nach oben - und jäh sah Schofield nichts mehr weiter als Himmel.

Sie stürzten rasch.

Durch das Seitenfenster des Hovercrafts sah Schofield die lotrecht fallenden Klippen mit phänomenaler Geschwindigkeit an ihnen vorübergleiten.

Schofield packte seinen Maghook und steckte Renshaw die Nase ins Gesicht, womit er ihn zum Schweigen brachte. »Fassen Sie mich um die Taille und lassen Sie nicht los!«

Renshaw hörte auf zu wimmern und starrte Schofield eine Sekunde lang an. Dann legte er Schofield rasch die Arme um die Taille. Schofield hob den Maghook über den Kopf und feuerte ihn durch die zerstörte vordere Windschutzscheibe des stürzenden Hovercrafts.

Der Maghook schoss in einem hohen Bogen durch die Luft - sein Stahlhaken schnappte mitten im Flug auf und das Seil entrollte sich auf verrückte Weise wackelnd dahinter.

Der Haken fiel hart auf den Rand der Klippenspitze und glitt dann auf die Kante zurück, wobei sich seine Klauen im Schnee vergruben.

Das Hovercraft fiel weiter mit dem Heck voran durch die Luft. Der Greifhaken fand einen Angriffspunkt auf der Klippenspitze und schnappte ruckartig fest, das Seil spannte sich sofort an...

…und Schofield und Renshaw am anderen Ende des Seils schössen jäh aus dem fallenden Hovercraft heraus.

Das Hovercraft fiel unter ihnen davon - fiel und fiel -, bis es lautstark auf die weißgekrönten Wogen über fünfzig Meter unter ihnen krachte.

Schofield und Renshaw schwangen auf die Klippenwand zu. Das Hovercraft war ein gutes Stück über die Klippe hinausgeschleudert, sodass sie dieses Stück um zurückschwangen, und als sie auf die Klippenwand trafen, trafen sie hart auf.

Beim Aufprall auf der Klippe verlor Renshaw den Halt um Schofields Taille, er fiel einen Moment lang, und im allerletzten Augenblick packte er Schofields rechten Fuß.

Eine volle Minute lang hingen die beiden Männer dort auf halber Strecke die nackte, lotrechte Klippenwand hinab und keiner von beiden traute sich zu rühren.

»Sie sind noch da?«, fragte Schofield.

»Ju«, erwiderte Renshaw wie erstarrt.

»Na schön, ich werde jetzt versuchen, uns hinaufzuziehen«, sagte Schofield und fasste den Werfer ein wenig anders, sodass er den schwarzen Knopf drücken konnte, der das Seil wieder einzog, ohne dabei den Greifhaken zusammenklappen zu lassen.

Schofield blickte zum Klippenrand hoch über ihnen hinauf. Er musste wenigstens fünfzig Meter entfernt sein. Schofield war der Ansicht, dass das Seil des Maghooks sich völlig entrollt haben musste, an dem sie hingen...

Und genau da sah ihn Schofield.

Einen Mann. Er stand oben auf der Klippe, spähte über den Rand und sah auf Schofield und Renshaw hinab.

Schofield erstarrte.

Der Mann trug eine schwarze Wollmütze.

Und er hielt ein Maschinengewehr in der Hand.

»Nun?«, meinte Renshaw unten neben Schofields Füßen. »Worauf warten Sie?« Von seiner Position aus konnte Renshaw den SAS-Soldaten oben auf der Klippe nicht erkennen.

»Wir gehen nicht mehr rauf«, erwiderte Schofield schlicht, wobei er den Blick auf die schwarz gekleidete Gestalt oben auf der Klippe geheftet hielt.

»Nein?«, fragte Renshaw. »Wovon reden Sie eigentlich?«

Der SAS-Soldat sah jetzt direkt zu Schofield hinab.

Schofield schluckte. Dann warf er einen Blick auf die klatschenden Wogen fünfzig Meter unter sich. Als er wieder hochschaute, zog der SAS-Soldat ein langes, glitzerndes Messer aus seiner Scheide. Daraufhin beugte sich der Soldat über das Seil des Maghooks oben auf der Klippe.

»O nein«, sagte Schofield.

»O nein, was?«, fragte Renshaw.

»Sind Sie bereit für einen Ausflug?«

»Nein«, erwiderte Renshaw.

»Atmen Sie die ganze Strecke hinunter«, sagte Schofield, »und dann, in der letzten Sekunde, holen Sie tief Luft.« Das wurde einem gesagt, wenn man aus einem fliegenden Hubschrauber ins Wasser sprang. Schofield hielt das gleiche Prinzip hier für angemessen.

Schofield blickte erneut zu dem SAS-Soldaten oben auf der Klippe hinauf. Er war dabei, das Seil zu durchschneiden.

»Also gut«, sagte Schofield. »Bringen wir den Scheiß hinter uns. Ich werde verdammt sein, wenn ich darauf warte, dass du mein Seil durchschneidest. Renshaw, sind Sie bereit? Wir springen!«

Und in diesem Augenblick drückte Schofield zweimal den Abzug am Maghook.

Die Klauen des Greifhakens oben auf der Klippe reagierten sofort und klappten nach innen und verloren so ihren Ansatzpunkt im Schnee. Der Haken rutschte über den Rand der Klippe, an dem verwirrten SAS-Soldaten vorüber, und Schofield, Renshaw sowie der Maghook fielen - gemeinsam - an der Klippenwand entlang in die klatschenden Wogen des Südpolarmeers unter ihnen.

Im Schweigen der Eishöhle starrte Libby Gant einfach nur die halb aufgefressenen Leichen an, die auf den Felsen vor ihr lagen.

Seit ihrer Ankunft in der Höhle vor etwa vierzig Minuten hatten die anderen Montana, Santa Cruz und Sarah Hensleigh - die Körper kaum einmal angesehen. Sie waren alle völlig vereinnahmt von dem großen schwarzen Raumschiff auf der anderen Seite der unterirdischen Höhle. Sie umschritten es, gingen darunter her, sahen sich die schwarzen metallenen Flügel genau an und versuchten, einen Blick durch die getönten Scheiben des Cockpits zu werfen.

Nachdem Schofield Gant von der unmittelbar bevorstehenden Ankunft der britischen Truppen sowie seinem eigenen Fluchtplan informiert hatte, hatte sie zwei MP5 auf Stative aufgestellt, die auf den Tümpel am Ende der Höhle gerichtet waren. Wenn der SAS versuchte, die Höhle zu betreten, würde sie die Leute einen nach dem anderen wegputzen, wie sie die Oberfläche durchbrachen.

Das war vor einer halben Stunde gewesen.

Selbst wenn der SAS inzwischen in der Eisstation Wilkes eingetroffen war, würden sie noch immer eine weitere Stunde benötigen, jemanden in der Taucherglocke hinabzulassen, und noch eine Stunde, den Unterwassereistunnel zur Höhle hinaufzuschwimmen.

Jetzt hieß es warten.

Nachdem Gant die Stative aufgestellt hatte, waren Montana und Sarah Hensleigh wieder an die Untersuchung des Raumschiffs gegangen. Santa Cruz war noch eine Weile länger bei Gant geblieben, aber bald war er gleichfalls hinübergegangen, um einen Blick auf das phantastische schwarze Schiff zu werfen.

Gant blieb bei den Waffen.

Während sie dort auf dem kalten, eisigen Boden der Höhle saß, blickte sie zu den zerstückelten Körpern auf der anderen Seite des Tümpels hinüber. Die Art und Weise, wie die Körper zugerichtet worden waren, hatte sie verblüfft. Köpfe und Gliedmaßen fehlten, ganze Stücke von Fleisch waren buchstäblich bis auf den Knochen abgekaut worden; die ganze Szenerie selbst schwamm in Blut.

Was auf Erden hätte so etwas anrichten können? überlegte Gant.

Während sie über die Körper nachdachte, wanderte Gants Blick zum Tümpel hinüber. Sie sah die runden Löcher in den Eiswänden darüber - die gewaltigen, über drei Meter weiten Löcher. Sie waren identisch mit denen, die sie auf dem Weg hierher im Unterwassereistunnel gesehen hatte.

Gant hatte ein merkwürdiges Gefühl bei diesen Löchern, bei den Körpern, bei der Höhle selbst. Es war beinahe so, als ob die Höhle eine Art...

»Das ist absolut unglaublich«, sagte Sarah Hensleigh, als sie herüberkam und sich neben Gant stellte. Hensleigh strich sich eilig eine Strähne des langen schwarzen Haars aus dem Gesicht. Sie floss förmlich über vor Begeisterung über die Entdeckung des Raumschiffs.

»Es hat keinerlei Kennzeichnung«, sagte sie. »Das ganze Schiff ist völlig und absolut schwarz.«

Gant war Sarah Hensleigh im Augenblick ziemlich gleichgültig. Eigentlich war ihr auch das Raumschiff ziemlich gleichgültig.

Und in der Tat, je mehr sie darüber nachdachte - über das Raumschiff, die Höhle und die halb aufgefressenen Körper, der SAS oben in der Station -, konnte Gant nicht anders, als daran zu denken, dass es um alles in der Welt keinen Weg gab, wie sie die Eisstation Wilkes lebendig verlassen würde.

Das Eindringen des SAS-Teams in der Eisstation Wilkes verlief rasch und flüssig professionell.

Schwarz gekleidete Männer stürmten mit erhobenen Gewehren in die Station. Rasch zerstreuten sie sich, jeweils zu zweit. Sie öffneten jede Tür, überprüften jeden Raum.

»Deck A, sauber!«, schrie eine Stimme.

»Deck B, sauber!«, schrie eine weitere Stimme.

Trevor Barnaby schritt hinaus auf den Laufsteg von Deck A und überblickte die verlassene Station, wie ein frisch gekrönter König sein Reich überblickt. Barnaby sah mit kaltem, gleichmütigem Blick auf die Station hinab. Ein dünnes Lächeln fältelte sein Gesicht.

Die SAS-Truppen gingen zu Deck E hinab, wo sie Snake und die beiden französischen Wissenschaftler mit Handschellen an den Pfahl gefesselt vorfanden. Zwei SAS-Soldaten bewachten sie, während weitere schwarz gekleidete Soldaten die Sprossenleitern herabströmten und in den Tunnels von Deck K verschwanden.

Vier SAS-Soldaten rannten in den Südtunnel. Zwei nahmen die Türen links. Zwei die Türen rechts.

Die beiden rechts erreichten die erste Tür, traten sie ein und blickten hinein.

Ein Vorratsraum. Zerschlagene Holzregale. Einige Sauerstofftanks auf dem Boden.

Aber leer.

Mit gehobenen Waffen gingen sie weiter den Korridor hinab. In diesem Moment sah einer den stummen Diener, sah die beiden Türen aus rostfreiem Stahl in dem kalten weißen Licht des Tunnels glitzern.

Mit einem kurzen Pfiff gewann der SAS-Anführer die Aufmerksamkeit der beiden anderen Soldaten im Tunnel. Er zeigte mit zwei Fingern auf den stummen Diener. Die beiden anderen Männer verstanden sofort. Sie stellten sich zu beiden Seiten des stummen Dieners auf, während der Anführer und der vierte SAS-Soldat ihre Gewehre auf die Stahltüren richteten.

Der Anführer nickte rasch und die beiden Männer zu beiden Seiten des stummen Dieners rissen sogleich die Türen auf, und der Anführer gab eine jähe Salve ab.

Sofort waren die nackten Wände des leeren Aufzugs in Fetzen zerrissen.

Mother kniff die Augen fest zusammen, als weniger als einen halben Meter über ihrem Kopf die Salve des SAS-Komman-deurs laut brüllend losging.

Sie saß in völliger Dunkelheit an der Basis des winzigen Aufzugschachts, zu einem winzigen Ball zusammengerollt in dem Kriechraum unterhalb des stummen Dieners.

Der stumme Diener wurde unter der Wucht des Gewehrfeuers der SAS-Soldaten gerüttelt und geschüttelt. Seine Wände flogen heraus, rissen auf und überall entstanden ausgefranste Löcher. Staub und Holzsplitter regneten auf Mother hinab, aber sie hielt einfach bloß die Augen fest zusammengekniffen.

Und dann, in dem Augenblick, da das Gewehrfeuer ihr laut in den Ohren schallte, kam Mother ein überwältigender Gedanke. Sie konnten ihre Gewehre wieder gefahrlos innerhalb der Station abfeuern...

Die Menge an entflammbarem Gas in der Atmosphäre der Station musste verflogen sein...

Und dann hörte das Gewehrfeuer abrupt auf und die Türen zum stummen Diener schlössen sich. Ganz urplötzlich herrschte wieder Stille und zum ersten Mal seit drei Minuten stieß Mother wieder Luft aus.

Schofield und Renshaw stürzten an der Klippenwand entlang und fielen in den Ozean.

Die Kälte traf sie wie ein Amboss, aber Schofield achtete nicht weiter darauf. Sein Adrenalinspiegel war hoch, ebenso wie seine Körpertemperatur. Die meisten Experten gäben einem Menschen etwa acht Minuten zum Überleben in den eisigen antarktischen Fluten. Aber mit seinem Thermoanzug sowie dem hohen Adrenalinspiegel gab Schofield sich wenigstens dreißig Minuten.

Er schwamm aufwärts, auf der Suche nach Luft, und durchbrach dann plötzlich die Oberfläche, und als Erstes sah er die größte Welle, die ihm je im Leben zu Gesicht gekommen war, über sich zusammenschlagen. Sie schob ihn - warf ihn - zurück zum Fuß der Klippe.

Der Aufprall trieb ihm den Atem aus den Lungen und Schofield schnappte nach Luft.

Jäh sank die Woge zurück und Schofield spürte, wie er in ein Tal zwischen zwei Wellen gesogen wurde. Ein paar Sekunden lang ließ er sich im Wasser treiben, bis er wieder zu Atem kam und seine Sinne beieinander hatte.

Das Meer rings um ihn herum war absolut gewaltig. Fünfzehn Meter hohe Wellen umgaben ihn. Zwanzig Meter rechts von ihm schlug eine Mammutwoge auf die Klippen. Eisberge - manche so hoch und breit wie Wolkenkratzer in New York; andere lang und flach wie Fußballfelder - hingen einhundert Meter entfernt von der Küste, schweigende Wächter der Eisklippen.

Plötzlich brach Renshaw gleich neben Schofield aus dem Wasser hervor. Der kleine Wissenschaftler schnappte sogleich in heiseren, schweren Atemzügen nach Luft. Einen Augenblick lang war Schofield besorgt, wie lange Renshaw mit der extremen Kälte des Wasser zurechtkommen würde, aber dann fiel ihm Renshaws Neoprenanzug ein. Teufel, Renshaw war möglicherweise wärmer als ihm selbst.

Und in diesem Augenblick sah Schofield eine weitere türmende Woge auf sie zukommen.

»Runter!«, schrie er.

Schofield holte tief Luft und tauchte unter, und urplötzlich wurde die Welt unheimlich still.

Er schwamm hinab; sah Renshaw neben sich schwimmen, im Wasser schwebend.

Und dann sah Schofield eine Explosion weißen Schaums über ihnen spritzen, als die Woge an der Oberfläche mit all ihrer Macht gegen die Klippe klatschte.

Schofield und Renshaw tauchten wieder auf.

Während sie im Wasser auf- und niedergingen, sah Schofield die gesamte Seitentür eines Hovercrafts im Wasser an sich vorübertreiben.

»Wir müssen weiter raus«, sagte Schofield. »Wenn wir noch länger hier bleiben, werden wir an diesen Klippen zermalmt werden.«

»Wohin?«, fragte Renshaw.

»Okay«, meinte Schofield. »Sehen Sie diesen Eisberg da drüben?« Er zeigte auf einen großen Berg, der wie ein prächtiger Flügel aussah, der auf der Seite lag, etwa zweihundert Meter von den Klippen entfernt.

»Ich sehe ihn.«

»Dahin schwimmen wir«, sagte Schofield.

»Na gut.«

»Dann okay. Bei drei. Eins. Zwei. Drei.«

Bei drei holten beide Männer tief Luft und tauchten unter. Sie schwammen im Bruststil von der Klippe weg durch das klare antarktische Wasser. Weißer Schaum explodierte über ihnen, während sie durch das Wasser schwammen.

Zehn Meter. Zwanzig.

Renshaw ging der Atem aus. Er tauchte auf, holte rasch und tief Luft und tauchte dann wieder unter. Schofield ebenfalls und biss die Zähne zusammen, als er sich auch wieder unter die Wellen duckte. Seine frisch gebrochene Rippe brannte schmerzhaft. Fünfzig Meter weiter durchbrachen beide Männer wieder die Oberfläche. Sie waren jetzt jenseits

der sich brechenden Wellen, also schwammen sie im Freistil weiter, kämpften sich über die Schwindel erregend hohen Spitzen der Fünfzehn-Meter-Wellen hinweg.

Schließlich erreichten sie den Fuß des Eisbergs. Drohend türmte er über ihnen, eine Mauer aus Weiß, glatt an manchen Stellen, wunderschön geschwungen und geriffelt an anderen. Prächtig gewölbte Tunnels verschwanden in dem jungfräulichen Eis.

An einem Punkt lief der große Eisberg aus, stieg zum Ozean herab und bildete eine Art Riff. Schofield und Renshaw schwammen auf dieses Riff zu.

Als sie dort eintrafen, sahen sie, dass das Riff in Wirklichkeit etwa einen Meter über dem Wasser schwebte.

»Stoßen Sie sich von meiner Schulter ab«, sagte Schofield.

Renshaw gehorchte, hievte rasch den linken Fuß auf Schofields Schulter und stieß sich davon ab.

Der kleine Mann hob die Hände, umklammerte die Bank und zog sich ungelenk darauf hoch. Dann legte er sich flach auf den Rand der Bank und streckte Schofield die Hände entgegen. Schofield packte sie und Renshaw zog ihn aus dem Wasser. Schofield war fast auf dem Riff, als seine Hände plötzlich an Renshaws feuchten Handgelenken abrutschten und Schofield unbeholfen zurück ins Wasser fiel.

Schofield tauchte unter.

Stille. Völlige Stille. Wie im Mutterleib.

Die heftigen Explosionen der Wellen, die gegen die Eisklippen schlugen, drangen ihm nicht mehr an die Ohren.

Der massige weiße Unterleib des Eisbergs erfüllte sein Blickfeld. Er erstreckte sich weit hinab, bis er in den umwölkten Tiefen des Ozeans verschwand.

Und plötzlich vernahm Schofield ein Geräusch, und er richtete sich kerzengerade im Wasser auf. Das Geräusch kam deutlich durchs Wasser, und er hörte es ganz klar.

Vmmmmm.

Es war ein tiefes, summendes, brummendes Geräusch.

Vmmmmm.

Schofield runzelte die Stirn. Es hörte sich beinahe... mechanisch an. Wie eine motorgetriebene Tür, die sich irgendwo öffnete. Irgendwo schloss.

Irgendwo... hinter ihm.

Augenblicklich fuhr Schofield herum.

Und dann sah er es.

Es war so riesig - so monströs -, dass der bloße Anblick Schofields Herz zum Rasen brachte.

Es schwebte einfach dort im Wasser.

Schweigend. Riesig.

Bedrohlich über Schofield, der neben dem Eisberg im Wasser schwebte.

Es musste wenigstens einhundert Meter lang sein, die Hülle schwarz und rund. Schofield sah die beiden horizontalen, stabilisierenden Flossen zu beiden Seiten des kegelförmigen Turms ins Wasser ragen, sah die röhrenförmige, knubbelige Nase des Bugs und jäh schlug sein Puls sehr laut in seinem Kopf.

Schofield vermochte seinen Augen nicht zu trauen.

Er blickte auf ein Unterseeboot.

Schofield schoss aus dem Wasser.

»Sind Sie in Ordnung?«, fragte Renshaw oben vom Riff aus.

»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Schofield, ehe er rasch einen weiteren Atemzug tat und wieder untertauchte.

Wiederum war die Welt still geworden.

Schofield schwamm ein wenig tiefer und starrte ehrfürchtig das massige Unterseeboot an. Es war etwa dreißig Meter von ihm entfernt, aber er konnte es deutlich erkennen. Das gewaltige Unterseeboot hockte einfach dort - völlig untergetaucht -in dem stillen Wasser wie ein gewaltiger, geduldiger Leviathan.

Schofield ließ den Blick darüberschweifen und suchte nach besonderen Merkmalen.

Er sah den schmalen, kegelförmigen Turm; die vier Torpedoports im Bug. Einer der Torpedoports war dabei, sich zu öffnen. Vmmmmm.

Und dann sah Schofield die vorn links auf dem Bug aufgemalten Farben - sah die drei waagrechten Farbstreifen - blauweiß-rot.

Er blickte auf die französische Flagge.

Renshaw sah Schofield erneut aus dem Wasser schießen.

»Was tun Sie dort unten eigentlich?«, fragte er.

Schofield ignorierte ihn. Stattdessen warf er den linken Arm aus dem Wasser und blickte auf seine Armbanduhr.

Die Stoppuhr zeigte an:

2:57:59

2:58:00

2:58:01

»O Gott«, sagte Schofield. »O mein Gott.«

Während der wahnwitzigen Verfolgungsjagd der Hovercrafts hatte er völlig das französische Kriegsschiff vergessen, das vor der antarktischen Küste lag und darauf wartete, seine Raketen auf die Eisstation Wilkes abzufeuern. Sein Codename war, wie ihm einfiel, »Shark«, also »Haifisch«.

Erst jetzt jedoch ging Schofield auf, dass er einen Fehler begangen hatte. Er war zu einem falschen Schluss gekommen. »Shark« war überhaupt kein Kriegsschiff.

Es war ein Unterseeboot.

Es war dieses Unterseeboot.

»Rasch«, sagte Schofield zu Renshaw. »Holen Sie mich raus!« Renshaw streckte die Hand hinab und Schofield umklammerte sie fest. Renshaw hievte Schofield so rasch herauf, wie er konnte. Als er genügend weit aus dem Wasser war, packte Schofield den Eisvorsprung und zog sich selbst hoch.

Renshaw hatte halb erwartet, dass Schofield sich aufs Eis fallen lassen würde, um wieder zu Atem zu kommen, wie er selbst es getan hatte, aber Schofield war in einem Nu auf den Beinen.

Eigentlich war es sogar so, dass er, sobald er sich auf dem Eisvorsprung befand, über die flache Ebene des Eisbergs losrannte - nein, lossprintete.

Renshaw jagte hinter ihm her. Er sah Schofield einen Eishügel überspringen, während er auf den Rand des Eisbergs in etwa dreißig Metern Entfernung zustürmte. Zum Rand des Eisbergs hin gab es eine leichte Erhebung, die Schofield hinaufrannte. Auf der anderen Seite der Erhebung, sah Renshaw, ging es etwa zehn Meter steil zum Wasser hinab.

Beim Laufen blickte Schofield auf seine Stoppuhr. Die Sekunden tickten immer weiter voran, auf die Drei-Stunden-Marke zu.

Auf die Abschusszeit zu.

2:58:31

2:58:32

2:58:33

Schofield dachte nach, während er rannte.

Es wird die Station zerstören. Die Station zerstören.

Wird meine Marines töten. Wird das junge Mädchen töten...

Muss es daran hindern.

Aber wie? Wie zerstört ein Mann ein Unterseeboot?

Und dann fiel ihm plötzlich etwas ein.

Beim Rennen holte er seinen Maghook von der Schulter. Dann drückte er rasch den Knopf mit der Bezeichnung ›M‹ und sah das rote Licht am Magnetkopf des Maghook aufleuchten.

Daraufhin zog er einen silbrigen Kanister aus seiner Oberschenkeltasche. Es war der dreißig Zentimeter lange Kanister mit dem grünen Band, den er in dem britischen Hovercraft gefunden hatte.

Die Tritonal 80/20-Hochleistungs-Sprengladung.

Schofield sah sich beim Laufen den silbrig-grünen Kanister an. Er hatte einen Druckverschluss aus rostfreiem Stahl. Er drehte den Verschluss und vernahm ein leises Zischen. Der Deckel sprang auf, und er sah eine vertraute Zeituhrschaltung, gleich neben einem Schalter ARM-DISARM, mit dem man die Ladung scharf machen konnte. Da der Apparat zur Zerstörung diente, konnte eine Tritonalladung damit auch jederzeit entschärft werden.

Zwanzig Sekunden, dachte er. Gerade genug, um außer Reichweite zu kommen.

Er stellte die Zeitschaltuhr an der Tritonalladung auf zwanzig Sekunden ein und hielt daraufhin den silbrigen Kanister über den knollenförmigen Magnetkopf seines Maghook.

Sogleich knallte der Stahlzylinder hart auf den mächtigen Magneten und klebte daran fest, gefangen wie in einem Schraubstock.

Schofield lief noch immer wie der Teufel, sprintete über die zerrissene Landschaft des Eisbergs.

Dann erreichte er den Rand des Eisbergs, und ohne eine Sekunde zu zögern oder weiter darüber nachzudenken, sprang er mit voller Geschwindigkeit hinaus.

Schofield flog in einem langen, weiten Bogen durch die Luft - volle drei Sekunden -, ehe er, die Füße voran, erneut hart in das eiskalte Wasser des südlichen Eismeers klatschte.

Rings um ihn herum waren nichts als Blasen und einen Moment lang sah Schofield gar nichts. Und dann verschwanden die Blasen auf einmal und Schofield fand sich im Wasser schwebend gleich vor der gewaltigen Nase des französischen Unterseeboots wieder.

Schofield sah auf seine Uhr.

2:58:59

2:59:00

2:59:01

Noch eine Minute.

Die Außenports des Torpedokanals waren jetzt völlig geöffnet. Schofield schwamm darauf zu. Zehn Meter entfernt stand der Torpedokanal gähnend weit offen.

Das sollte besser funktionieren, dachte Schofield, als er seinen Maghook mit der daran haftenden Tritonalladung auf Kopfhöhe hob. Schofield drückte den »ARM-DISARM«Schalter auf der Tritonalladung.

Zwanzig Sekunden.

Schofield feuerte den Maghook ab.

Der Maghook schoss aus seinem Werfer und hinterließ dabei eine dünne Spur weißer Blasen in seinem Kielwasser. Er schoss durch das Wasser auf den offenen Torpedoport zu...

... und traf die stählerne Hülle des Unterseeboots gerade unterhalb des Torpedoports mit einem lauten, metallischen Boiiing! Der Maghook - mit der scharfen Tritonalladung daran - prallte von der dicken Stahlhülle des Unterseeboots ab und sank schlaff ins Wasser hinab.

Schofield konnte es nicht fassen.

Er hatte daneben geschossen!

Scheiße! kreischte es in seinen Gedanken. Und dann traf ihn plötzlich ein weiterer Gedanke.

Die Leute in dem Unterseeboot hatten ihn gehört. Mussten ihn gehört haben.

Schofield drückte rasch den schwarzen Knopf an seinem Griff, der den Maghook einholte, und hoffte verzweifelt, dass er zurückkäme, ehe die zwanzig Sekunden vorüber wären.
muss einen weiteren Schuss anbringen.
muss einen weiteren Schuss anbringen können.

Und dann vernahm Schofield plötzlich ein weiteres Geräusch. Vmmmmm.

Links von Schofield, an der anderen Bugseite, öffnete sich der andere Torpedoport!

Dieser Port war kleiner als derjenige, in den hinein Schofield seinen Maghook hatte schießen wollen.

Kleinere Torpedos, dachte Schofield. Diese sollen andere Unterseeboote zerstören, nicht ganze Eisstationen.

Und dann, mit einem jähen Wusch seh seh!, schoss ein kompakter weißer Torpedo aus dem gerade aufgegangenen Torpedoport und wälzte sich durch das Wasser auf Schofield zu.

Schofield konnte es nicht glauben.

Sie hatten ein Torpedo auf ihn abgefeuert!

Der Maghook kehrte in seinen Werfer zurück und Schofield drückte rasch den »ARM- DISARM«-Schalter auf der Tritonalladung - vier Sekunden vor Zündung. In diesem Moment schoss der Torpedo an seiner Taille vorüber und Schofield überschlug sich in seinem Kielwasser.

Schofield keuchte erleichtert. Er war zu nahe gewesen. Der Torpedo hatte nicht die Zeit gehabt, sich auf ihn einzuschießen.

Genau in diesem Augenblick schlug der Torpedo in den Eisberg hinter Schofield und explodierte heftig.

Renshaw stand am Rand des Eisbergs und blickte ins Wasser hinab, als der Torpedo etwa zwanzig Meter entfernt einschlug.

In einem Augenblick explodierte ein ganzer Abschnitt des Eisbergs in einer weißen Wolke und fiel wie bei einem Erdrutsch einfach in den Ozean, sauber vom Rest des massiven Eisbergs abgetrennt.

»Jeu!«, keuchte Renshaw ehrfürchtig.

Und dann sah er Schofield etwa zwanzig Meter draußen an die Oberfläche kommen, sah ihn eine Lunge voll Luft schnappen, und dann sah er den Lieutenant wieder untertauchen.

Während das Geräusch der Torpedo-Detonation noch immer im Wasser rings um ihn her vibrierte und ein großes Stück des Eisbergs hinter ihm ins Wasser fiel, richtete Schofield seinen Maghook ein zweites Mal auf den Torpedoport.

Shane Schofield 01 - Ice Station
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